Ghosting: Wie Schlechte Bewerberkommunikation Unternehmen Schadet

Der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich in einer paradoxen Situation: Einerseits klagen Unternehmen über einen eklatanten Fachkräftemangel, andererseits berichten immer mehr Bewerberinnen und Bewerber von einem besorgniserregenden Phänomen namens „Ghosting“. Dieses aus der Dating-Welt bekannte Verhalten hat längst Einzug in die Arbeitswelt gehalten und sorgt für Frustration auf beiden Seiten des Bewerbungsprozesses.

Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass im vierten Quartal 2023 rund 1,73 Millionen offene Stellen in Deutschland zu besetzen waren. Gleichzeitig geben laut einer Umfrage der Jobplattform Indeed 90 Prozent der befragten Personalverantwortlichen an, bereits Erfahrungen mit „Ghosting“ durch Bewerber gemacht zu haben. Doch das Problem ist keineswegs einseitig.

Dr. Carola Burkert, Arbeitsmarktexpertin am IAB, erklärt:

Wir beobachten eine zunehmende Respektlosigkeit im Bewerbungsprozess – und zwar von beiden Seiten. Unternehmen lassen Bewerber im Unklaren, Bewerber tauchen plötzlich ab. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung, die dem angespannten Arbeitsmarkt zusätzlich schadet.

Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass laut einer Studie der Jobbörse Stepstone jeder zweite Bewerber 45 Tage nach Versand der Bewerbung keine qualifizierte Rückmeldung erhalten hat. Die Feedbackquote der Arbeitgeber hat sich seit 2016 sogar um fünf Prozent verschlechtert.

Das ist nicht nur unprofessionell, sondern auch kontraproduktiv. In Zeiten des Fachkräftemangels können es sich Unternehmen schlichtweg nicht leisten, potenzielle Mitarbeiter durch mangelnde Kommunikation zu verprellen.

betont Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen.

Ein weiteres Problem, das zunehmend Bewerber frustriert, ist die mangelnde Reaktion auf Nachfragen zum Bewerbungsstatus.

Viele Kandidaten berichten, dass sie trotz höflicher Nachfragen keine Antwort erhalten oder sogar eine schnelle Absage bekommen, ohne dass ihre Qualifikationen angemessen geprüft wurden. Diese Praxis verstärkt den Eindruck, dass Unternehmen den Bewerbungsprozess nicht ernst genug nehmen.

Dr. Burkert kommentiert:

Es ist verständlich, dass Bewerber nach einer angemessenen Wartezeit nachfragen möchten. Für eine herkömmliche Bewerbung auf eine unbefristete Stelle ist es angemessen, etwa 14 bis 21 Tage nach dem Absenden der Bewerbung nachzufragen. Wenn Unternehmen dann nicht reagieren oder pauschal absagen, sendet das ein fatales Signal.

Doch nicht nur die fehlende Rückmeldung sorgt für Unmut. Viele Bewerber berichten von automatisierten Absagen innerhalb weniger Minuten nach dem Versand ihrer Unterlagen – ein klares Indiz dafür, dass die Bewerbung nicht einmal gesichtet wurde.

warnt Rump.

Die Auswirkungen von Ghosting auf die Motivation der Bewerber sind gravierend.

Das ist nicht nur frustrierend für die Bewerber, sondern auch ein Armutszeugnis für die Unternehmen, kritisiert Burkert.

Gerade in Zeiten von Diversität und Inklusion sollten Bewerbungen sorgfältig geprüft werden. Menschen mit Behinderungen oder atypischen Lebensläufen haben so kaum eine Chance, überhaupt wahrgenommen zu werden.

Ein besonders heikles Thema sind die Praktiken einiger Personalvermittler. Sie kontaktieren potenzielle Kandidaten oft aggressiv, um sie zu einem Gespräch zu bewegen. Kommt dieses zustande, folgt häufig – Funkstille. Noch problematischer wird es, wenn die vom Recruiter beschriebenen Tätigkeiten nicht mit der Realität übereinstimmen.

Das ist nicht nur unprofessionell, sondern grenzt an Täuschung. Solche Praktiken schaden dem Ruf der gesamten Branche und erschweren die ohnehin schon angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich.

warnt Rump.

Viele berichten von emotionaler Belastung, Frustration und Selbstzweifeln. Dr. Burkert warnt:

Wiederholte Erfahrungen mit Ghosting können zu einer generell negativen Einstellung gegenüber potenziellen Arbeitgebern führen. Dies kann die Motivation, sich überhaupt zu bewerben, deutlich senken und zu einer pessimistischen Grundhaltung im Jobsuchprozess führen.

kritisiert Burkert.

Laut der Studie von JobTeaser geben sogar 52% der befragten Personalverantwortlichen zu, selbst schon einmal Bewerber „geghostet“ zu haben.

Personalvermittler sind hier keine Ausnahme. Dabei könnten gerade sie eine wichtige Rolle bei der Prävention von Ghosting spielen. Prof. Rump betont:

Professionelle Personalvermittler können als Puffer fungieren und Ghosting in einer frühen Phase des Prozesses abfangen, bevor es das Unternehmen betrifft. Sie müssen jedoch selbst hohe ethische Standards einhalten und Praktiken vermeiden, die zu Ghosting führen können.

Entgegen der landläufigen Meinung ist „Ghosting“ keineswegs auf die Privatwirtschaft beschränkt. Auch im öffentlichen Dienst häufen sich die Beschwerden über mangelnde Kommunikation und intransparente Bewerbungsprozesse. Eine Entwicklung, die angesichts des hohen Personalbedarfs in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung besonders bedenklich ist.

Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland bei der Kommunikation im Bewerbungsprozess nur mittelmäßig ab. Laut einer Studie des European Recruitment Dashboard geben nur 62 Prozent der deutschen Unternehmen an, allen Bewerbern eine Rückmeldung zu geben. In Ländern wie Schweden (78 Prozent) oder den Niederlanden (73 Prozent) ist die Quote deutlich höher.

Wir müssen dringend umdenken. Der respektvolle Umgang mit Bewerbern ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern ein entscheidender Faktor im Kampf gegen den Fachkräftemangel.

fordert Burkert. Sie plädiert für verbindliche Standards in der Bewerberkommunikation, die sowohl für Unternehmen als auch für Personalvermittler gelten sollten.

Doch auch Bewerber können aktiv werden, um sich vor Ghosting zu schützen. Arbeitsmarktexperten empfehlen eine proaktive Kommunikation, das Verfolgen mehrerer Bewerbungen parallel und das Nutzen persönlicher und professioneller Netzwerke.

Bewerber sollten von Anfang an klare Erwartungen kommunizieren. Sie sollten nach konkreten Zeitplänen für den Bewerbungsprozess fragen und vereinbaren, wann und wie die nächste Kontaktaufnahme erfolgt.

rät Dr. Burkert. Rump ergänzt:

Wir brauchen eine neue Kultur der Wertschätzung im Bewerbungsprozess. Dazu gehört auch, dass wir Menschen mit Behinderungen oder anderen Einschränkungen fair und vorurteilsfrei begegnen. Jede nicht beantwortete Bewerbung, jedes ‚Ghosting‘ ist eine vertane Chance im Kampf gegen den Fachkräftemangel.

Die Expertin schlägt vor, dass Unternehmen und öffentliche Einrichtungen ihre Bewerbungsprozesse einer kritischen Prüfung unterziehen sollten.

Automatisierte Absagen innerhalb weniger Minuten sind ein No-Go. Stattdessen sollten qualifizierte Rückmeldungen die Regel sein – auch wenn es mehr Zeit und Ressourcen kostet.

Letztlich, so sind sich die Expertinnen einig, geht es um nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. In einer Zeit, in der qualifizierte Fachkräfte dringend gesucht werden, kann es sich niemand leisten, potenzielle Mitarbeiter durch mangelnden Respekt und fehlende Professionalität zu verprellen.

Der Kampf gegen „Ghosting“ im Bewerbungsprozess ist somit nicht nur eine Frage des Anstands, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Nur durch eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung und transparenten Kommunikation kann der Arbeitsmarkt die Herausforderungen der Zukunft meistern.


Quellen:

  • Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Studie über offene Stellen in Deutschland im vierten Quartal 2023.
  • Indeed: Umfrage unter Personalverantwortlichen über Erfahrungen mit „Ghosting“ durch Bewerber.
  • Stepstone: Studie über Rückmeldequoten von Arbeitgebern an Bewerber.
  • JobTeaser: Studie über das „Ghosting“-Verhalten von Personalverantwortlichen.
  • European Recruitment Dashboard: Vergleichsstudie über Rückmeldequoten an Bewerber in verschiedenen europäischen Ländern.
  • Expertenaussagen: Dr. Carola Burkert, Arbeitsmarktexpertin am IAB // Prof. Dr. Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen

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